Rückblicke

Großvater, warst du eigentlich als Pastor im Krieg?

Ja doch, antwortete ich. Aber mir war gar nicht klar, ob diese Frage nicht ein bisschen provokatorisch war, so wie ich und andere meines Alters von, verständigen jungen Leuten schon gefragt worden waren, wie konnten sie denn Soldat, oder gar Offizier gewesen sein.

Also, wie muss nun die Antwort lauten? Oder besser noch, wie ist die Frage genau gemeint? Lautet sie: Bist du Militärpfarrer gewesen? Dann ist die Antwort: Nein. Aber so: Bist du Pastor gewesen auch als Soldat, dann: Ja.

Zu 1. Robert: ja, ich wollte für eine begrenzte zeit Militärpfarrer sein, für ein Gemeindepfarramt kam ich mir noch zu jung vor. Und, du weißt es vielleicht, ich kam aus der Jugendbewegung, hatte die Gruppe lange geführt in Anklam und glaubte, das bildete ich mir ein, gewisse Voraussetzungen zu erfüllen, um jungen Männern in ihrer Soldatenzeit die Tür zum christlichem Glauben etwas weiter zu öffnen.

So hatte ich mich auch beworben, hatte in Stettin in der Garnisonkirche gepredigt, war anschließend vom hauptamtlichen Militärpfarrer beglückwünscht, der mir versicherte, ich würde bald die Berufung bekommen. Aber das "bald" zog sich sehr hinaus, so dass ich bei einem Besuch in Berlin zum Feldbischof ging, um nachzufragen. Ich wurde freundlich empfangen: Bitte nehmen Sie Platz, Bruder Becker! Was führt Sie zu mir? Ich sagte es. Ach ja, da war doch etwas!

Er griff nach einer Akte, schaute hinein und sah mich an, bekümmert wie mir schien, und fragte: Haben sie etwas mit Ihrem Ortsgruppenleiter? Ja sagte ich, wir lieben uns nicht. Nun das ist es, schade. Der größte Bauer im Dorf, ein strammer Nazi, hatte etwas gegen mich. Er mag von unserem (mit Jochen Fuchs in Werder) Volksmissionseinsatz etwas wissen, aber ganz bestimmt war ihm nicht verborgen, dass die Jugendstunden im Pfarrhaus besser besucht waren als die der Hitler Jugend. Nun ich konnte also nicht Pfarrer bei den Soldaten werden, d.h. Militärpfarrer und später, als ich evtl. Divisionspfarrer gern geworden wäre, war ich nun wieder zu jung. Jahrgang 1908 war die Grenze.

Also Militärpfarrer war ich nicht. Wenn du mit deiner Frage aber von mir hören willst, ob ich als Soldat und Offizier auch Pastor war, so möchte ich "Ja" sagen. Wie ich mich erinnere waren fast alle jungen Pastoren Offiziere und haben dabei nicht vergessen, dass sie Pastoren sind oder sie waren Sanitäter.

Wie ich Soldat geworden war und fast 10 Jahre sein musste?

Wie ich Soldat geworden war und fast 10 Jahre sein musste?

Im Juli 1938 wurde ich für 8 Wochen eingezogen. Das galt für die meisten des Jahrganges 1910; Anfang 1939 musste ich noch einmal meine Gemeinde verlassen und eine Übung absolvieren, nach der ich Gefreiter wurde und Offiziersanwärter, das hatte vermutlich mit einer Vorgeschichte zu tun. 1932 hatte ich durch Vermittlung von Professor Heimann in Greifswald, wo ich ja Theologie studierte, für 1 Semester nach Königsberg gehen können. Dort wurden still und geheim Studenten der Verbindungen (ich gehörte der Hochschulgilde an) zur so genannten "Schwarzen Reichswehr" eingezogen, um kurzfristig ausgebildet zu werden. So ging auch ich Verabredungsgemäß eines Tages mit einem Gildenbruder vor der Kaserne in Quednau spazieren und wurde mit ihm zusammen, als die Luft rein war, hinein gewinkt. Dort wurden wir - es waren schließlich an 20 bis 30 Mann - sofort eingekleidet und in den kommenden Tagen in "hinhaltender Verteidigung" ausgebildet.

Du fragst: warum das alles?

Nun, nach dem 1. Weltkrieg beanspruchte Polen nicht nur Westpreußen, wo in der Tat ein Teil der Bevölkerung polnisch war, sondern auch Oberschlesien und Teile von Ostpreußen. In einer Volksabstimmung, sollte die Bevölkerung sich entscheiden. Die Polen hofften, dass die Oberschlesier, von denen ein Teil das "Wasserpolnisch" als ihren Dialekt sprachen und die Einwohner von Masuren, die auch einen slawischen Dialekt hatten, sich für Polen entscheiden würden.

Aber sie wurden enttäuscht, in überwältigender Mehrheit entschieden Oberschlesier und Masuren sich für Deutschland. Weil nun der polnische Westmarkenverein schon lange, die Westgrenze Polens an der Elbe postulierte, auch schon eine Landkarte erstellt hatte, auf der alle Städte und Dörfer nur polnische Namen hatten, fürchtete man, dass die Reichswehr, die nur eine geringe Stärke laut Versailler Vertrag haben durfte, nicht in der Lage sein würde, eine Nacht- und Nebelaktion der Polen zu verhindern, mit der sie durch die Besetzung Südostpreußens eine vollendete Tatsache schaffen würden. Bei "hinhaltender Verteidigung" aber würde Zeit für eine Verstärkung aus dem "Reich" möglich sein. Soviel davon.

Anfang September wurde ich dann als Gefreiter und Offiziersanwärter in Lindenhof Kreis Demmin, der Besitzer war ein Patron meiner Gemeinde, für eine Munitionskolonne eingezogen, die schließlich zur 28. Division kam. 1940 wurde ich Offizier. Soweit ich mich erinnere, waren wir außer dem Div. Pfarrer 5 Pastoren, die als Offiziere nicht nur beweisen wollten, dass Pastoren auch gute Deutsche wären, sondern auch in ihrer Funktion manches zum Guten wendeten, soweit es möglich war. Auch haben wir immer wieder einmal in Vertretung des Divisionspfarrers Menschen, die zu und gehörten, beerdigen müssen. Einmal in Ostpreußen schon, habe ich ein Kind getauft, weil die Eltern es dringend wünschten, ehe sie den gefährlichen Weg über das Eis nach Pillau mit dem gepackten Flüchtlingswagen antraten. Getraut habe ich auch einmal ein junges Paar oben in Estland. Und dann natürlich im Gefangenlager im 'Wechsel mit anderen die sonntägliche Predigt gehalten.
Die vorgesetzten Offiziere in unsrer Division begegneten uns Pastoren mit Achtung, fragten wohl auch um Rat oder wollten unsre Meinung wissen, was sie im Blick auf unsre untergeordnete Dienststellung sonst nicht getan hätten. Da fallen mir gerade zwei Fälle ein.
Es war oben vor Leningrad. Da rief mich der Kriegsgerichtsrat der Division an: Herr Oberleutnant, bei mir ist eine Anzeige wegen Befehlsverweigerung und an angedrohter Körperverletzung gegen den Ogfr. N. eingegangen. Der Kfz-Inspektor hat die Anzeige erstattet. Ich muss der Sache nachgehen. Was ist das denn für ein Mann? Ich war nicht schlecht erschrocken, das konnte ja ganz übel für den Mann ausgehen! und so sagte ich; es ist ein sehr zuverlässiger und ordentlicher Mann, ich weiß daher nicht, wie ich diese Anzeige werten soll, was da wirklich geschehen ist, beide sind ja Oberschlesier, bei denen man ja Worte nicht auf die Briefwaage legen darf, auch rasten sie leicht aus und werden handgreiflich. Kann ich ihn nicht bestrafen? Er willigte schließlich ein und ich habe ihn mit 3 Tagen Arrest bestraft, Begründung? Vermutlich wegen ungebührlichen Benehmens einem Vorgesetzten gegenüber. Natürlich konnte die Strafe an der Front nicht vollzogen werden. Riskant war es für uns allerdings, wenn der Kfz-Inspektor nicht mitgespielt hätte. Dass in meiner Personalakte immer wieder stand: ist zu weich, muss härter werden, wusste ich als Adjutant, aber ich wertete es positiv.
Und der 2.Fall: Es war an der Weichselmündung am 8. Mai 45, da fragte mich der eine mir schon lange bekannte, Regimentskommandeur: Becker, was meinen sie, können wir uns noch nach Westen durchschlagen? Ja, durch Hinterpommern könnten wir wohl durchkommen, aber über Haff und Oder kaum, der Russe wird sicher schon in Vorpommern sein. Darauf seine Antwort: Dann müssen wir jetzt wohl Schluss machen, und das hieß ja :sich der Gefangenschaft durch Selbstmord entziehen. Nein sagte ich, das ist nicht recht. Nach unsrer Kapitulation ist die Situation auch eine andere. Es mag schlimm werden, aber wir sind doch nicht feige. Er hörte auf mich. Das klingt en bisschen nach "Heldentum", aber das sollte es aber gar nicht sein. Ich will mich, auch nicht "groß" machen, aber ich hatte gerade in den letzten Kriegsmonaten, so oft erlebt, dass ich gegen alle Erwartung und Befürchtung am Leben geblieben war! Auch war es nicht eigene Leistung, dass ich in schlimmen Situationen ruhig bleiben konnte, einfach weil mir der Vers gegenwärtig war: es kann mir nichts geschehen als was Er (Gott) hat ersehen und was mir dienlich ist. Es war mir immer mehr die Erkenntnis gekommen, dass so unbegreiflich es sein mag er mit jedem Menschen Seinen Weg geht.
So konnte ich nicht den „lieben Gott“ spielen, als mich ein Kamerad bat, einen Soldaten, den wir beide gern hatten, gegen den Befehl nicht zur Infanterie abzustellen. Nachher kamen mir Zweifel und ich war erlöst, als ich ihn einige Tage später leicht verwundet in einer Truppe sah, die in die Heimat fahren sollte. Aber nun ist genug, wir sind auch bald da gleich müssen wir von der Autobahn runter. Ob euch das alles wirklich interessiert, weiß ich auch nicht. Es ist ja auch schon bald 50 Jahre her. Spontan darauf ihre Antwort: Ach nein, Du musst das mal aufschreiben, möglichst noch ausführlicher!