Tagebuch 1943

So war das also „unser Vormarsch“ auf Moskau zu

Ihr könntet vielleicht einwenden: So Schlimm wär' der' Krieg also gar nicht. Nun in der Tat, es gab schon junge deutsche Soldaten, die alles wie ein aufregendes Abenteuer erlebten. so auch der Gefr. M., der alles zu erkennen und zu ergründen suchte und im Vorwärtsgehen der Kolonne auch schnell noch das feindliche Geschütz neben der Straße inspizieren wollte und einen Schuss auslöste, der hinter uns im Wald einschlug. Bang wartete ich auf die Meldung eventueller Schäden und war froh als diese ausblieben und ich die Sache abhaken konnte. Das steht nun nicht im Tagebuch, auch das nicht, dass wir gleich am Anfang aus den Kornfeldern heraus beschossen worden waren, auch dies nicht, dass die Straße, auf der wir fahren mussten vermint war, zwar von Pionieren schnell geräumt, doch lagen diese gefährlichen Dinger noch reichlich rechts und links davon, sodass befohlen worden war, dass bei einer Rast der Mun-Kolonne der Führer dieser Einheit vorher das Gelände abzureiten hätte. Doch geschah es dann dennoch, dass nachdem eine Reihe von Munitionswagen glücklich ihren Platz gefunden hatten ein glücklicherweise nur mit Heu und Strohballen beladener Wagen hochging und die Fahrer auf dem Bock mit dem Schrecken davon kamen. Auch mahnten uns die Toten am Rand und die ganz frischen Gräber, darunter das von Peter aus Brieg, eines ganz jungen Soldaten, um den wir tief betroffen trauerten.
Dann aber war der Vormarsch stecken geblieben in Schlamm und Schnee und alles wurde um Vieles schlimmer. Für den Winter war keine Vorsorge getroffen worden, man wollte ja schon in Moskau sein; ohne das entsprechende Gerät und ohne Winterbekleidung war die Truppe dem russischen Winter ausgesetzt, wir aber durften dem entgehen und nahmen traurig Abschied von den Freunden, die zu dem Regiment gehörten, das bleiben musste.
Ja, und dann das Tagebuch 1942. Der kleine französische Taschenkalender enthält fast nur dienstliche Daten des Adjutant Becker, natürlich auch persönliche Notizen: Anschrift der Freunde, Aufstellung seiner persönlichen Habe: bei Frl. Schöttler, bei Fink und im Haus, die ich vermutlich während des Urlaubs erstellt hatte. Laufend geführt ist er dann vom 6. Februar an, (Abmarsch aus Besancon) bis zu seinem Urlaub (28. Sept. -24. Okt.) und dann von der Einweisung ins Lazarett (Nikolskoje) bis zur Ankunft im Res. Lazarett in Tapiau am 2. Dezember.
Alle Daten will ich nicht Tag für Tag wiedergeben aber weil sich die Geschehnisse in drei Aktionen darstellen lassen, will ich sie in Kurzfassung nach Daten des Kalenders nun niederschreiben:

1. Landmarsch von Besancon zur Krim.

Die Marschgruppe bestand aus den motorisierten Einheiten des Divisionsnachschubführers. Mir war die Führung übertragen; der Marsch führte, zunächst bei gelindem Wetter über Przemisyl nach Proskurw, wo uns große Kälte empfing. Trotz Pelzmantel fror ich im offenen Kübelwagen erheblich. Weiter ging es über Winniza, Kirmwograi, Krementschug nach Poltawa, wo die Marschgruppe durch Schlächterei, Bäckerei, Feldlazarett und Kraftfahrkolonne II vergrößert wurde. Am nächsten Tag (23. 2. ) war Ruhetag, wir gingen ins Kino und am nächsten Tag war die Kultur dran; wir, gingen ins Theater zur "Cavalleria rusticana"
Die Weiterfahrt am 26. über Kraßnograd und Nowomoskowsk nach Saporoshje endete im Schlamm der aufgeweichten Erdstraßen. Vom 28.Febr. an unfreiwillige Rast wegen unpassierbarer Wege und Überschwemmungen. Erst am 8.März Verladung auf Eisenbahn zur Fahrt nach Simforopol.

2. Auf der Krim

Am 9.März um 14 Uhr 30 versuchte ein feindliches Flugzeug den Damm bei Schongar. auf dem unser Zug uns gerade zur Krim bringen wollte zu bombardieren. Alle Bomben verfehlten ihr Ziel. wir nahmen keinen Schaden. So steht's im Tagebuch.
Auch vom Wetter ist die Rede. das uns enttäuschte. weil man uns erzählt hatte, dass wir auf der Krim in den schönsten Frühling kämen, doch es lag Schnee und war kühl und 2 Tage später waren es -10 Grad. Doch ich will nicht zu ausführlich werden:

Für beide "militärischen Großaktionen" Sewastopol (am 1.Juli gefallen) und Kertsch war die Munitionierung durchzuführen. Was restlosen Einsatz forderte und nicht ohne Verluste blieb. Auch für den "Nachschub" war es kein Kuraufenthalt. Bei der Inf. waren große Verluste zu beklagen. Doch davon steht im Tagebuch nichts. auch davon nicht, dass ich einmal das eiskalte Wasser, der Splittergraben war bis oben voll, scheute und mich lieber unter einen Munitionswagen duckte als ein Tiefflieger uns beharkte. So sehr ich bemüht war. meine Pflicht als Adjutant zu erfüllen. ebenso eifrig war ich bemüht. wenn es möglich war. dies schöne Land kennen zu lernen. dessen wechselhafte Geschichte sich noch an Namen, Gebäuden, Menschen - soweit sie da waren - und anderem erkennen ließ. Dabei waren mir die verschiedenen Kulturen interessant. Die Griechen haben bedeutenden Orten ihren Namen gegeben. die Tataren desgleichen. auch die Ukrainer und zuletzt Deutsche, wie etwa Zürichtal und Rosenfeld (man trieb eine große Rosenproduktion).Den Khan-Palast in Bakschisserei konnte ich sehen - die Villenreichen Schwarzmeerstädte. Karasubasar mit den beeindruckenden Bewässerungsanlagen. die das Flussgebiet zu einem blühenden Garten hart neben der trockenen Getreidesteppe machten. aber auch das Jailagebirge, das z.T. noch von versprengten sowj. Soldaten gehalten wurde. So dass die Straßen hindurch nur im Konvoi befahren werden sollten, als ich es einmal doch allein versuchte, weil die Zeit drängte, brach ich das Vorhaben dann doch ab, weil ich Schüsse hörte. Die verlassenen Ruinen der aus großen Sandsteinblöcken erbauten Kirchen bzw. Moscheen weckten mein Interesse, zumal sie geostet waren und deutlich erkennbar später eingehauende Nischen in andrer Richtung hatten. Nicht zuletzt beschäftigte mich der deutsche Friedhof neben dem Dorf Schokul-Russ, den ein Soldat entdeckt hatte als wir in der Nähe biwakierten.

Davon hat sich folgende Niederschrift erhalten:

Deutsches Schiksal.

Westlich des zum guten Teil zerstörten Dorfes Tschokull-Russ liegt auf einer Höhe von einer rohen Steinmauer umfriedet der mit Flieder bewachsene Friedhof des Dorles. Die Grabsteine liegen kreuz und quer, nur wenige stehen noch. Die Grabstellen sind jedoch an der viereckigen Umrandung durch kleinere Bruchsteine zu erkennen. Zwei ganz frische Hügel am Eingang sind in gleicher Weise umzäunt. Das alles ist nichts Besonderes in diesem Land, wohl aber die Form der Grabsteine, die trotz aller Vernichtung und Verwahrlosung sichtbare Klarheit der Formen! So ist es denn den deutschen Soldaten, die für ein paar Stunden neben diesem Friedhof lagen, keine Überraschung mehr, dass sie die. Schrift lesen können, die auf den zertrümmerten Steinen steht, es ist deutsche Schrift und erzählt von Leid und Tod einer deutschen Bauerngemeinde.
Von Stolz und Wohlstand, von Schönheitssinn und Glauben. Nicht alle Steine lassen sich noch entziffern, doch das ist eine harte Erkenntnis: um das Jahr 1925 hat sich das Schicksal dieser Bauern erfüllt. Der einzige und auch wohl letzte Stein, nur kaum schlechter als die anderen hat russische Inschrift und kündet vom Tod eines Peter u. seiner Tochter am selben Tag! War es der letzte Deutsche, dem ein Russe den Grabstein setzte? Die Masse der Steine ist kurz vor der Jahrhundertwende gesetzt, doch dürften die am weitesten nach Westen zu liegenden bis ins 1. Viertel des 19. Jh. hinein gehören. Dort steht auch eingewachsen ein Stein in Form des Eisernen Kreuzes. Ob darunter ein deutscher Kriegsgefangener liegt, oder wie kommt dieses Zeichen hierher? Einige Kilometer weiter sah ich es noch einmal auf einem Friedhof. Es sind etwa 30 Grabsteine, von denen die angeführten inschriftlich erfasst werden konnten. Ein Teil der älteren Kreuze ist ohne jede Inschrift.
Drüben liegt das Dorf, das jetzt noch in den Trümmern gr. Höfe erkennen lässt mit großen Scheunen und Ställen und hellen Wohnhäusern. In den Vorgärten wachsen Sträucher und Blumen, der Flieder will gerade blühen. Doch wo sind die Menschen, die sich hier eine Heimat schaffen wollten? Im Tagebuch steht dann unter dem 16. Juni: "Habe Fieber gehabt." Damals also war die Gelbsucht schon ausgebrochen, doch sie wurde nicht erkannt. Ein Backenzahn sollte der Grund für meine Beschwerden sein. Der Zahnarzt in Simforopol aber hatte Mühe ihn zu entfernen, er saß so fest, dass er ihn mit einem kl. Meißel zerteilen musste, wobei seine Helferin meinen Kopf halten musste. Übrigens hatte ich vor, diese Helferin, Waltraut Tilly aus B, einmal zu heiraten.
Die Beendigung der Kampfhandlungen brachte für uns keine Erholungszeit, so gern wir auf dieser schönen Insel noch eine Weile geblieben wären. Die 28. Div. war eine Jägerdivision und als solche eine Art "Feuerwehr" und speziell zum Einsatz in schwierigem Gelände bestimmt. So wurden wir denn lt. Tagebuch am 16. August in Itschki verladen und fuhren über Kowel, wo ich die interessanten Kirchtürme im Vorbeifahren zeichnete, und Bialostock, Lyk, Insterburg, Schaulen, Mitau, Pleskau nach Siwerskaja, wo wir am 27. August ausgeladen wurden, also nun südlich Leningrad lagen.

3. In Wald und Sumpf vor Leningrad.

In den neuen Stellen machten wir sofort mit fast ständigem Artilleriebeschuss Bekanntschaft, auch Tiefflieger behellig ten uns, sodass wir gezwungen waren in Erdbunkern zu hausen. Nachts machte der "Nadler", auch "Nähmaschine" die Wege unsicher. Sein Geräusch ging auf die Nerven, es war ein nur kleines gepanzertes Flugzeug, das kleine Sprengkörper abwarf. Lt. Tagebuch hatte ich von dort Urlaub vom 28. Sept. bis zum 24. Okt., wo ich in Kriwoj-Koleno wieder bei der Truppe eintraf. Bald darauf fiel der Winter ein.
Jetzt verschlechterte sich mein Gesundheitszustand so sehr, dass der Chef eines Tages zu mir sagte; Becker, jetzt sehe ich mir das nicht mehr länger an, wir fahren zum Divisionsarzt. Der - ein Internist - stellte die richtige Diagnose und wies mich am 26. November ins Feldlazarett Nikolskoje ein. Von hier wurde ich am 23. Dez. in einen Lazarettzug verlegt, der am 26. Dez. also am 2. Weihnachtstag in Ostpreußen war und zwar in Tapiau. Aus dem dortigen Reservelazarett kam ich dann zur weiteren Behandlung ins Lazarett Posen (Ev. Diakonissenkrankenhaus), von wo ich GVH (Garnisonsverwendungsfähig) zur Ersatztruppe in Guben kam. Dort sollte ich mit den Rekruten exerzieren und sie zum Fahneneid vorbereiten, was mir gar nicht zusagte, sodass ich den dortigen Arzt bat mich GVF (Garnisonverwendungsfähig - Feld) zu schreiben, da ich ja beim Stab einen Arzt hätte und auch Diät möglich wäre. Er tat es und ich kam wieder zu meiner Truppe, allerdings erst 1943.

Mai 1942
Mai 1942
Oktober 1942
November 1943
November 1943
November 1943
Dezember 1943
Dezember 1943